Wie Tiere ihren Weg finden

Wie Tiere ihren Weg finden
In der ersten Phase des SFB gelang der Nachweis, dass das Eiweiß Cryptochrom 4 (die gelbliche Substanz im Röhrchen) magnetisch sensitiv ist. Die Forschenden stellen das Protein, das in der Netzhaut von Zugvögeln vorkommt, mit Bakterienkulturen her. Foto: Universität Oldenburg

Wie Tiere ihren Weg finden

Oldenburg. Die erstaunlichen Navigationsleistungen von Vögeln, Fledermäusen und Fischen und ihre Fähigkeit, sich am Magnetfeld der Erde zu orientieren, stehen seit vier Jahren im Mittelpunkt des Sonderforschungsbereichs (SFB) „Magnetrezeption und Navigation in Vertebraten“ an der Universität Oldenburg. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat dem Vorhaben nun erneut Mittel bewilligt: Bis zu 9,2 Millionen Euro erhält das vom Oldenburger Biologen Prof. Dr. Henrik Mouritsen geleitete Projekt von 2023 bis 2026 für die zweite Phase. Der SFB mit dem offiziellen Titel „Magnetrezeption und Navigation in Vertebraten: von der Biophysik zu Gehirn und Verhalten“ erforscht das Orientierungsvermögen von Wirbeltieren auf allen Ebenen. An dem Großprojekt, dessen Gesamtlaufzeit auf zwölf Jahre angelegt ist, sind neben der Universität Oldenburg das Institut für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“ (IfV) in Wilhelmshaven, die Freie Universität Berlin, die Universität Bochum und das Weizmann Institute of Science in Rehovot (Israel) beteiligt. Drei Forschende von der University of Oxford (Großbritannien) sind dem SFB als Mercator Fellows angeschlossen.

„Um beim Verständnis des Magnetsinns einen Durchbruch zu erzielen, ist ein stark interdisziplinärer Ansatz nötig. Die wissenschaftlich äußerst erfolgreiche Arbeit des Sonderforschungsbereichs in der ersten Förderperiode belegt, dass eine Zusammenarbeit führender internationaler Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachdisziplinen nötig ist, um die ehrgeizigen Ziele des Programms zu erreichen. Die erneute Förderzusage der Deutschen Forschungsgemeinschaft würdigt das bisher Erreichte und ermöglicht das Fortsetzen der fruchtbaren gemeinsamen Forschung“, erklärt Universitätspräsident Prof. Dr. Ralph Bruder.

Im Sonderforschungsbereich „Magnetrezeption“ arbeiten Forschende aus Neurobiologie, Quantenphysik, Biochemie, Computer-Modellierung und Verhaltensbiologie zusammen. Zentrales Ziel ist, den Magnetsinn von Wirbeltieren und ihre Navigationsfähigkeiten umfassend zu verstehen – angefangen bei bestimmten Proteinen, die das Magnetsignal detektieren, über Signalwege innerhalb von Nervenzellen und die Weiterleitung des Reizes ins Gehirn bis hin zum Verhalten und zu den Zugrouten der Tiere. Die gewonnenen Erkenntnisse sind wichtig, um bedrohte, über lange Strecken wandernde Tierarten schützen zu können. Die quantenmechanischen Mechanismen, die dem Magnetsinn wahrscheinlich zugrunde liegen, könnten für die Entwicklung besserer Sensoren genutzt werden.

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Denn die Forschenden sind einem faszinierenden Mechanismus auf der Spur: Seit einigen Jahren verdichten sich die Hinweise, dass sich der Magnetsensor im Auge von Zugvögeln befindet. Die Sinneswahrnehmung beruht allem Anschein nach auf einem komplizierten quantenphysikalischen Prozess in bestimmten Zellen der Netzhaut. In der ersten Förderperiode gelang es einem Team um Mouritsen, mithilfe von Bakterienkulturen ein magnetempfindliches Eiweiß aus der Netzhaut von Rotkehlchen zu produzieren, um daran Untersuchungen durchzuführen. „Wir konnten so zum ersten Mal zeigen, dass ein Molekül aus dem Sehapparat eines Zugvogels magnetisch sensitiv ist“, sagt Mouritsen. Die Ergebnisse publizierten die Forschenden 2021 in der renommierten Fachzeitschrift „Nature“.

Ein weiteres Highlight aus der ersten Förderperiode war die Erkenntnis eines Teams um den SFB-Teilprojektleiter Prof. Dr. Onur Güntürkün von der Universität Bochum, dass die Gehirne von Vögeln – insbesondere die für Sinneswahrnehmungen zuständigen Areale – denen von Säugetieren sehr viel ähnlicher sind als bislang angenommen. Das Team berichtete in der Zeitschrift „Science“, dass die Nervenfasern im Vogelgehirn überraschend komplexe Strukturen bilden.

Ebenfalls in der Zeitschrift „Science“ erschien eine Studie, derzufolge Zugvögel bestimmte Koordinaten des Erdmagnetfelds wie ein Stoppschild nutzen. Das Team um Dr. Joe Wynn vom Institut für Vogelforschung und Henrik Mouritsen hatte dafür Beringungsdaten aus einem Zeitraum von 1940 bis 2018 ausgewertet.

In weiteren Studien erzielten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem wichtige Fortschritte dabei, die biophysikalischen Prozesse der Magnetwahrnehmung aufzuklären, die Weiterleitung des Magnetreizes in Nervenzellen im Auge von Vögeln zu untersuchen, die Auswirkungen von Elektrosmog auf das Zugverhalten von Vögeln in der Natur zu erforschen und herauszufinden, wie räumliche Informationen im Gehirn von Fledermäusen codiert werden. Die SFB-Forschenden publizierten ihre Ergebnisse in zahlreichen Fachzeitschriften, darunter waren insgesamt neun Publikationen in den hochkarätigen Journals „Nature“ und „Science“.

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In der zweiten Förderperiode stehen weitere Untersuchungen magnetisch empfindlicher Eiweiße auf dem Programm, die das Team mittlerweile gezielt in Zellkulturen herstellen kann. „Die Proteine mancher Tierarten sind magnetisch deutlich sensitiver als die von anderen Spezies“, erläutert Mouritsen. Das Team will diese Proteine gezielt verändern und sowohl experimentell als auch mithilfe von Computersimulationen verstehen, welche Teile der Moleküle für die magnetische Wahrnehmung wichtig sind.

Ein Schwerpunkt mehrerer Teilprojekte des Programms soll außerdem auf der Verarbeitung der magnetischen Reize und anderer für die Navigation wichtiger Informationen im Gehirn liegen. Ein neues Teilprojekt, das vom Oldenburger Biologen Dr. Oliver Lindecke geleitet wird, untersucht das Zugverhalten und die Magnetorientierung von Zwergfledermäusen, die auf ihren Wanderungen mehrere tausend Kilometer zurücklegen. Ebenfalls neu ist das Teilprojekt von Dr. Sandra Bouwhuis, der Wissenschaftlichen Direktorin des Instituts für Vogelforschung. Es befasst sich mit der Frage, welchen Einfluss die Entscheidung, an einem bestimmten Ort zu überwintern, auf den Bruterfolg eines Zugvogels hat. Dabei kann die Forscherin auf Daten zahlreicher Individuen aus einer Kolonie von Flussseeschwalben zurückgreifen, die teils seit mehreren Jahrzehnten beobachtet werden und deren Verwandtschaftsverhältnisse gut untersucht sind.

Mit einem integrierten Graduiertenkolleg fördert das Forschungsprogramm außerdem aktiv Promotionsprojekte junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Pressemeldung von  Universität Oldenburg

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